08.07.2020
Die Corona-Pandemie ist seit vielen Monaten das vorherrschende Thema und sorgt für viele Veränderungen sowie Fragestellungen. Auch Betriebsärzte sind davon betroffen. So stellt sich unter anderem die Frage, ob Betriebsärzte berechtigt oder sogar verpflichtet sind, gegenüber Arbeitgebern zu offenbaren, wenn Arbeitnehmer positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden sind. Eine solche Offenbarung würde ja eigentlich im Zwiespalt mit der einhergehenden Schweigepflicht stehen, oder etwa nicht? Wir schaffen Klarheit!
Betriebsärzte sind fast ausschließlich präventiv tätig. Sie können ihre Tätigkeit aber nur dann sinnvoll ausüben, wenn sie die Möglichkeit haben, den Arbeitnehmer zu untersuchen. Darüber hinaus müssen alle für die jeweilige Fragestellung notwendigen Informationen vorliegen. Vertrauen in die ärztliche Verschwiegenheit ist daher Voraussetzung für die wirkungsvolle Arbeit von Betriebsärzten.
Dass auch Betriebsärzte der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, ist im Arbeitssicherheitsgesetz festgehalten. Eine Verletzung der Schweigepflicht stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers dar und kann zu Schmerzensgeldklagen führen. Hinzukommen können berufsrechtliche Folgen durch die Ärztekammern.
Offenbarungspflichten – Wann muss sich ein Betriebsarzt äußern
Grundsätzlich gilt, dass der Betriebsarzt dem Arbeitgeber keine Mitteilung über Untersuchungsergebnisse, Diagnosen oder erhobene Befunde weiterreichen darf. In der Vergangenheit wurde darüber diskutiert, ob und in welchem Umfang der Betriebsarzt befugt oder sogar verpflichtet ist, Untersuchungsergebnisse und -befunde (auch ohne das Wissen oder sogar gegen den Willen des Arbeitnehmers) an den Arbeitgeber weiterzugeben. Als Beispiele dienen hier HIV- oder Hepatitis- Infektionen bei Mitarbeitenden im Gesundheitswesen. Hintergrund dieser Problematik ist der Konflikt des Betriebsarztes zwischen einerseits der ärztlichen Schweigepflicht und andererseits dem berechtigten Informationsbedürfnis des Arbeitgebers. Denn dieser möchte über die vom Betriebsarzt durchgeführten Untersuchungen der Arbeitnehmer auch informiert werden.
Es gibt gesetzlich angeordnete Offenbarungspflichten, nach denen sich der Betriebsarzt äußern muss. Bei diesen Fällen muss dann zwingend eine entsprechende Meldung an das Gesundheitsamt erfolgen. Das Gesundheitsamt kann dann die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Gefahren durchführen. Als Beispiel dient das Aussprechen eines beruflichen Tätigkeitsverbots. Dies bedeutet, dass der Betriebsarzt auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers zur Durchbrechung der Schweigepflicht berechtigt beziehungsweise sogar verpflichtet ist. Zudem wird die Pflicht zur Meldung an die Berufsgenossenschaft statuiert, wenn Ärzte den begründeten Verdacht haben, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht. Die Bestimmung soll sicherstellen, dass eine solche Krankheit frühzeitig erkannt und behandelt wird.
Wie verhält sich die Schweigepflicht bei COVID-19-Testergebnissen?
Dürfen oder müssen aber auch positive Ergebnisse von COVID-19-Tests mitgeteilt werden, auch wenn keine Einwilligung der betroffenen Person vorliegt? Mit dem Coronavirus hat sich auch die Meldepflicht zur namentlichen Nennung von Patienten gegenüber dem Gesundheitsamt ausgedehnt. So ist sowohl der Verdacht einer Erkrankung mit COVID-19, die Erkrankung sowie der Tod in Bezug auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu melden. Es besteht also eine zwingende Mitteilungspflicht. So soll gewährleistet werden, dass die zuständigen Behörden entsprechende Maßnahmen wie etwa ein Tätigkeitsverbot, Quarantäne oder Isolierung einleiten können.
Aufgrund eines rechtfertigenden Notstandes ist der Betriebsarzt zudem berechtigt, die Infektion und/oder Erkrankung eines Arbeitnehmers nach einer positiven Testung auf COVID-19 an den Arbeitgeber zu melden. Dabei hat der Betriebsarzt eine Interessenabwägung zwischen den Rechtsgütern des betroffenen Arbeitnehmers und der gefährdeten Personen (Kunden, Patienten, Kollegen, usw.) zu treffen. Diese fällt in Zeiten der Corona-Pandemie zugunsten der Gesundheit der ansonsten gefährdeten Personen und zuungunsten der informationellen Selbstbestimmung der betroffenen Person aus. Die ärztliche Einschätzung muss mithin ergeben, dass die diagnostizierte Infektion und Erkrankung unmittelbar zu einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für das Leben anderer führen kann. Ohne solche Anhaltspunkte kann ein Notstand nicht angenommen werden. Dieses Ergebnis muss umso mehr aufgrund des hohen Infektionsrisikos des neuartigen Coronavirus gelten.
Zu fragen ist auch, ob nicht etwa der Arbeitnehmer selbst verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine Infektion oder Erkrankung mit COVID-19 zu melden. Arbeitnehmer sind grundsätzlich nur dazu verpflichtet, sich umgehend beim Arbeitgeber krankzumelden. Die Art der Erkrankung müssen sie hingegen nicht mitteilen. Da es sich bei COVID-19 aber um eine hoch ansteckende Krankheit handelt, ist es so, dass Arbeitnehmer ausnahmsweise die Art ihrer Erkrankung mitteilen sollten oder sogar müssen. Nur so kann der Arbeitgeber entsprechende Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus ergreifen.
Bruch der Schweigepflicht – Was ist erlaubt und was nicht
Betriebsärzte dürfen ohne Einwilligung das Ergebnis einer Untersuchung oder Vorsorge grundsätzlich nicht an den Arbeitgeber weitergeben. Eine Einwilligung ist möglich und sollte am besten schriftlich erfolgen. Auch bei der Inanspruchnahme eines gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrundes sollte der Arzt seine Entscheidung und die von ihm vorgenommene Interessenabwägung schriftlich dokumentieren.
Festzuhalten ist damit zum einen, dass der Betriebsarzt verpflichtet ist, eine Infektion oder Erkrankung mit COVID-19 an das Gesundheitsamt zu melden. Zudem tritt aufgrund der Gefährdungslage für Leib und Leben anderer Arbeitnehmender, Kunden und/oder Patienten durch eine Erkrankung oder Infektion mit COVID-19 das Recht auf Vertraulichkeit der Informationen zurück. Damit fällt auch die ärztliche Schweigepflicht hinter die höherrangigen Rechtsgüter Leib und Leben.
Der Betriebsarzt ist daher nach einer zwingend vorzunehmenden Interessenabwägung berechtigt, dem Arbeitgeber ein positives Testergebnis nach einer Testung auf COVID-19 mitzuteilen und insoweit durch diese Offenbarung gegenüber dem Arbeitgeber gegen die Schweigepflicht zu verstoßen.
Zusammenfassung: Wann ist eine Offenbarung gegenüber Arbeitgebern möglich
Die persönliche Stellung des Betriebsarztes gegenüber dem Arbeitgeber ist durch Weisungsfreiheit gekennzeichnet. Der Betriebsarzt ist seinem ärztlichen Gewissen unterworfen und unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Die Weitergabe von erhobenen Gesundheitsdaten an den Arbeitgeber ist gleichwohl unter folgenden Voraussetzungen gestattet:
- Die einzelnen Untersuchungsbefunde (Labordaten) dürfen an den Arbeitgeber mit ausdrücklicher Einwilligung des Arbeitnehmers weitergegeben werden. Dabei bedarf es einer Befreiung von der Schweigepflicht im Einzelfall.
- Zur Weiterleitung des Untersuchungsergebnisses an den Arbeitgeber können Betriebsärzte auch aufgrund einer konkludenten Einwilligung des Arbeitnehmers berechtigt sein. Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitnehmer über das Untersuchungsergebnis aufzuklären und auf sein Widerspruchsrecht hinzuweisen ist. Widerspricht der informierte Arbeitnehmer der Weitergabe seiner Daten, darf der Betriebsarzt den Arbeitgeber nicht informieren.
- Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes, nämlich soweit dies zum Schutze eines höherwertigen Rechtsguts erforderlich ist, kommt eine Weiterleitung des Untersuchungsergebnisses und -befunds auch gegen den Willen des Arbeitnehmers in Betracht. Hier geht es um eine Interessenabwägung von betroffenen Rechtsgütern.
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