Arbeitsmedizinische Empfehlung

Arbeitsmedizinische Empfehlung: Umgang mit aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftiger Beschäftigten

Die Herausforderungen im Umgang mit besonders schutzbedürftigen Beschäftigten im Rahmen der SARS-CoV-2-Epidemie werden international diskutiert. Diese arbeitsmedizinische Empfehlung richtet sich an die Verantwortlichen für den Arbeitsschutz im Betrieb, insbesondere an Arbeitgeber sowie Betriebsärzte und Betriebsärztinnen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) spricht im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 von Risikogruppen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit COVID-19 haben. Da dieses Risiko von vielen Einflüssen und Kombinationsmöglichkeiten abhängt, fordert das RKI, um der Komplexität einer Risiko-Einschätzung gerecht zu werden, eine individuelle Risikofaktoren-Bewertung im Sinne einer arbeitsmedizinischen Expertise.

Zentrales Element des Arbeitsschutzes ist die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Bei der Gefährdungsbeurteilung ist zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Für alle Beschäftigten muss die Gefahr einer Infektion durch SARS-CoV-2 möglichst vermieden, zumindest aber reduziert werden.

Es kommen entlang des sogenannten TOP-Prinzips technische (zum Beispiel Absperrungen zur Wahrung von Abstandsgeboten), organisatorische (zum Beispiel Homeoffice, Arbeitszeitverlagerungen) und – wenn das nicht ausreicht – persönliche Schutzmaßnahmen (zum Beispiel Masken) in Betracht.

Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit beraten zu den erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen. Bei der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sind spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen zu berücksichtigen. Beschäftigte sind auch im Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2 nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Vorerkrankungen mitzuteilen.

Arbeitsmedizinische Empfehlung: Welches Vorgehen wird empfohlen?

Das Vorgehen bei aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie besonders schutzbedürftigen Beschäftigten bei Tätigkeiten mit unterschiedlicher Gefährdung sollte auf folgender Grundlage erfolgen:

1.Überprüfung und gegebenenfalls Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung

2.Umsetzen des TOP-Prinzips, Vorrang von Verhältnisprävention zu Verhaltensprävention

3.Optimierter Arbeits- und Gesundheitsschutz zum Erhalt des Arbeitsplatzes – Ableitung des individuellen Schutzbedarfes als Ergebnis der arbeitsmedizinischen Vorsorge

Arbeitsmedizinische Empfehlung: Einteilung in vier Gruppen

Nach der Prüfung internationaler Konzepte sollten Tätigkeiten in vier Gruppen eingeteilt werden: Gruppe 1 weist eine geringe Gefährdung und Gruppe 4 eine sehr hohe Gefährdung auf, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren.

Bevor wir die einzelnen Gruppen vorstellen und diese anhand von Beispielen veranschaulichen, klären wir erstmal wichtige Fachbegriffe, damit die Einstufung besser nachzuvollziehen ist.

Klärung wichtiger Fachbegriffe

Expositionsrisiko ist das Risiko, Kontakt mit Personen oder Flächen zu haben, die SARS-CoV-2 infiziert und kontaminiert sind oder sein können. Personen, die ausschließlich Tätigkeiten im Homeoffice verrichten, haben beispielsweise eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit tätigkeitsbedingt mit anderen Personen beruflich in Kontakt zu treten.

Infektionsrisiko ist das Risiko einer Ansteckung mit SARS-CoV-2. Ein Beispiel ist der Kundenkontakt bei Tätigkeiten im Verkauf: Das Infektionsrisiko im „normalen“ Einzelhandel ist gering, beim Verkauf in einer Apotheke hingegen mindestens als mittel einzuschätzen, da hier die Wahrscheinlichkeit auf erkrankte Personen zu treffen, wesentlich höher ist.

Entsprechend des Gefährdungsrisikos sind alle Maßnahmen zu treffen, um eine Infektion zu vermeiden.

Gruppe 1: Tätigkeiten mit einer geringen Gefährdung

Diese sind gekennzeichnet durch ein geringes Expositionsrisiko und ein geringes Infektionsrisiko gegenüber SARS-CoV-2.

  • Tätigkeiten
    • ohne oder mit nur geringem Personenkontakt (beispielsweise Mitarbeiter, Kunden) und Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m
    • ohne Kontakt mit Personen, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie mit SARS-CoV-2 infiziert sind
    • mit geringem Kontakt zur Öffentlichkeit

Beispiele: Tätigkeiten im Homeoffice, Alleinarbeitsplätze (zum Beispiel Büro, Labor, Archiv)

Gruppe 2: Tätigkeiten mit einer mittleren Gefährdung

Diese sind gekennzeichnet durch ein mittleres Expositionsrisiko und ein mittleres Infektionsrisiko gegenüber SARS-CoV-2.

  • Tätigkeiten
    • mit häufigem und/oder engerem Kontakt mit Personen (Mindestabstand von 1,5 m eingehalten)
    • mit Personen, die möglicherweise mit SARS-CoV-2 infiziert sind, aber keine bekannten COVID-19-Patienten sind

Beispiele: Tätigkeiten in sozialen Diensten, Einzelhandel, Behörden

Gruppe 3: Tätigkeiten mit einer hohen Gefährdung

Diese haben ein hohes Expositionsrisiko und hohes Infektionsrisiko gegenüber SARS-CoV-2.

  • Tätigkeiten im Gesundheitswesen mit bekannten oder vermuteten COVID-19-Erkrankungen und einem mittleren Risiko im Umgang mit infizierten Körperflüssigkeiten

Beispiele: ärztliche oder pflegerische Tätigkeiten, Reinigungstätigkeiten in Patientennähe, medizinische Transporttätigkeiten oder Labortätigkeiten mit bekannten oder vermuteten COVID-19-Erkrankungen

Gruppe 4: Tätigkeiten mit einer sehr hohen Gefährdung

Diese haben ein sehr hohes Expositions- und ein hohes Infektionsrisiko gegenüber SARS-CoV-2.

  • Tätigkeiten im Gesundheitswesen mit bekannten oder vermuteten COVID-19-Erkrankungen und einem hohen Risiko im Umgang mit infizierten Körperflüssigkeiten

Beispiele: ärztliche oder pflegerische Tätigkeiten, Tätigkeiten im Labor oder postmortale Tätigkeiten mit Kontakt zu Körperflüssigkeiten oder Aerosolen

  • spezielle Tätigkeiten mit Hochrisiko

Beispiele: Intubation, Husteninduktionsverfahren, Bronchoskopien und Untersuchungen oder invasive Probenentnahme an bekannten oder vermuteten COVID-19-Patienten

Diese Gruppeneinteilung ist ein grobes Raster. Vor Ort ist in jedem Falle eine tätigkeitsbezogene Einzelfallbewertung erforderlich.

Umsetzung im Betrieb

  • Im Betrieb sollte ein Verfahren in Bezug auf die Maßnahmen bei einer besonderen Schutzbedürftigkeit von Beschäftigten eingeführt werden.
  • Dieses Verfahren ist transparent und allen auf der Mitarbeiter-, Führungs- und Expertenebene bekannt.
  • Die Gefährdungsbeurteilung ist überarbeitet und angepasst und die Unterweisung ist auf diese aktualisierte Gefährdungsbeurteilung abgestimmt.
  • Alle erforderlichen Schutzmaßnahmen sind umgesetzt.
  • Eine Festlegung von Schutzmaßnahmen bei besonderer Schutzbedürftigkeit erfolgt durch den Arbeitgeber. Er wird dabei durch den Betriebsarzt beraten. Der Betriebsarzt kennt die Arbeitsplätze und schlägt dem Arbeitgeber auf der Basis des aktuellen Wissensstandes geeignete Schutzmaßnahmen vor, wenn die normalen Arbeitsschutzmaßnahmen nicht ausreichen.
  • Möglich ist auch, dass der Beschäftigte die Maßnahmen in Bezug auf die eigene individuelle Schutzbedürftigkeit hinterfragt. Eine generelle Festlegung, wie Vorerkrankungen zu bewerten sind, ist aufgrund der Komplexität nicht möglich; es kommt vielmehr auf eine Einzelfallbetrachtung an. Die betreffende Person wird durch den Betriebsarzt beraten. Dafür bietet sich das Instrument der Wunschvorsorge an. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge berät der Betriebsarzt aufgrund der individuellen Situation des Beschäftigten im Einzelfall. Als Ultima Ratio kann der betreffenden Person ärztlicherseits ein Tätigkeitswechsel empfohlen werden. Die Mitteilung dieser Empfehlung an den Arbeitgeber bedarf der Einwilligung der betreffenden Person; sie löst kein Beschäftigungsverbot aus.
  • Individuell erforderliche Schutzmaßnahmen auf Grund der betriebsärztlichen Beratung werden möglichst gemeinsam mit dem Beschäftigten durch den Arbeitgeber umgesetzt – in Analogie zum BEM-Verfahren.
  • Erfährt der Arbeitgeber von einer ärztlichen Empfehlung eines Tätigkeitswechsels, weist er der betreffenden Person im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten eine andere Tätigkeit zu. Hierbei sind die dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen zu berücksichtigen.

 

Vorgehen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge

Eine generelle Festlegung, wie Vorerkrankungen zu bewerten sind, ist aufgrund der Komplexität nicht möglich. Jeder Fall ist individuell zu betrachten. Hierbei ist der Zusammenhang zwischen der individuellen gesundheitlichen Situation und der ausgeübten Tätigkeiten entscheidend. Für die arbeitsmedizinische Betrachtung des Einzelfalls ist nicht die Diagnose per se entscheidend, sondern es müssen immer der Schweregrad einer Erkrankung, die Medikation, der Therapieerfolg, mögliche Folgeerkrankungen, die Dauer und Verlauf der Erkrankung und Komorbiditäten berücksichtigt werden. Insbesondere für komplizierte Erkrankungen und Therapien ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Arbeitsmediziners mit Haus- und Fachärzten zu empfehlen.

Bei Fragen oder Anmerkungen kontaktieren Sie uns gerne.



+49 8000 115 116
Kontakt aufnehmen
Betriebsarztkalender
Newsletter